Zwiespalt der Gefühle

An dieser Stelle erscheint es angebracht, auch offen über die häufig zwiespältigen Gefühle der Angehörigen dem Kranken gegenüber zu sprechen. Einerseits hat man Verständnis und will ihn schützen, andererseits ist man auch wütend und frustriert, wenn durch das Verhalten des Kranken das ganze Familienleben durcheinander kommt. Zwar weiß man, dass die Krankheit schuld daran ist – trotzdem ist es schwer oder gar nicht auszuhalten.

In diesen Konflikten bilden sich viele Fronten. Manche Angehörige stellen sich ganz auf die Seite des Kranken und gegen „den Rest der Welt“. Andere Angehörige machen es genau umgekehrt: Sie sind so frustriert und entnervt, dass sie den Kranken ausgrenzen. Wieder andere schwanken zwischen Verständnis und Mitleid einerseits, Ablehnung und Zorn andererseits – ein nervenzermürbendes Wechselbad der Gefühle.

Auch die Erkrankten selbst sowie Ärzte und anderes Hilfspersonal nehmen an diesem Spiel teil, und der „schwarze Peter“ wird mal an diesen, mal an jenen weitergereicht. Das alles ist verständlich aus der schwierigen und ständig wechselnden Situation, aber es erleichtert nicht unbedingt das Finden von Lösungen, die für alle Beteiligten akzeptabel sind. Genau das aber muss das Ziel sein. Das Motto des Bundesverbands der Angehörigen fasst dieses Ziel zusammen in dem Satz:

Mit psychisch Kranken leben, selbstbewusst und solidarisch.

Lassen Sie uns einen Blick auf das Verhältnis zu den professionellen Helfern, besonders den Ärzten, werfen. Gewiss wäre es falsch, den Behandlern mit grundsätzlichem Misstrauen zu begegnen – ebenso falsch ist es aber auch, von ihnen Wunder zu erwarten. Der Arzt als „Herrgott in Weiß“ wird Ihnen ganz sicher nicht aus der Misere helfen, er ist aber ein wichtiger Partner im Bündnis gegen die Krankheit.

Vielleicht kommt Ihnen die folgende Behauptung als Zumutung vor, aber es ist die Erfahrung, die viele Angehörige vor Ihnen gemacht haben: Ihr wichtigster Helfer sind Sie selbst! Deshalb ist es so wichtig, dass Sie sich nicht nur um den Kranken, sondern auch um sich selbst kümmern.

Der erste Schritt zur Selbsthilfe sind Informationen. Wer besser über eine Krankheit Bescheid weiß, kann besser mit ihr umgehen und ihre Auswirkungen begreifen und bewältigen. Angehörige können Ärzte und andere professionelle Helfer ansprechen, Bücher lesen und Beratungsstellen aufsuchen. Wenn es aber um die vielen Fragen und Unsicherheiten im täglichen Umgang mit psychisch Kranken geht, ist das „Expertentum“ anderer Angehöriger eine unersetzliche Hilfs- und Informationsquelle. Erkundigen Sie sich, wo in Ihrer Nähe eine Gruppe besteht. Wenn es eine gut funktionierende und lebendige Gruppe ist, kann das eine große Stütze in Ihrer schwierigen Situation sein und Ihnen helfen, für sich den richtigen Weg zu finden.