Die Sache mit den Diagnosen
Abgrenzungen von einem Krankheitsbild zum anderen sind in der Theorie einfacher zu ziehen als im praktischen Leben. Psychiatrische Diagnosen sind daher als Arbeitshilfen zu verstehen. Sie werden heute auf der Grundlage internationaler Übereinkünfte gestellt. Diese Diagnosesysteme sagen nichts über die Ursachen der Krankheiten aus, sondern richten sich nach den Symptomen.
Das bekannteste Klassifikationssystem für psychiatrische Diagnosen ist das Kapitel F der ICD-10 (International Classification of Diseases, deutsch: Internationale Klassifizierung von Krankheiten). Die ICD-10 arbeitet rein beschreibend und verzichtet auf theoretische Erklärungen. Damit lehnt sie sich an das amerikanische DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, deutsch.: diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) an.
Vorbehalte gegenüber der psychiatrischen Diagnostik gibt es sowohl unter Wissenschaftlern als auch in der Gesellschaft und nicht zuletzt bei den Patienten. Doch ohne Diagnose geht es auch nicht. Wer Hilfe sucht, möchte in der Regel eine Diagnose hören, um seine Beschwerden und Störungen einordnen zu können.
Diagnosen wirken sich für Betroffene auf verschiedene Weise aus:
- Sie erklären Phänomene.
- Sie reduzieren Angst (weil Hilfe erschlossen wird), oder sie verstärken Angst (weil negative Zukunftserwartungen geweckt werden).
- Sie relativieren die mit den Symptomen verbundenen Probleme.
- Sie entschuldigen Leistungsabfall und gestörtes Sozialverhalten.
Aus alldem folgt, dass mit psychiatrischen Diagnosen sehr behutsam umgegangen werden muss. Das Spannungsfeld möglicher positiver und negativer Wirkungen der Diagnose stellt an die Behandler hohe Anforderungen.
Der behutsame Umgang mit psychiatrischen Diagnosen rechtfertigt jedoch keineswegs, dass Patienten über die medizinischen Aspekte ihrer Erkrankung und Behandlung schlecht informiert werden. Auch Angehörige sollten über die wichtigsten psychiatrischen Diagnosen und Besonderheiten der Therapie Bescheid wissen.